Im Interview: Johannes Köck


Berufliche Einsätze zwischen Filmpremieren und den Filmfestspielen von Berlin, Cannes und Venedig – das klingt glamourös und gehört – wenn auch nicht zum Alltag, so doch auch zur Arbeit von Johannes Köck. Denn das Team der Cine Tirol Film Commission ist die erste Anlaufstelle für die Realisierung von Spiel-, Dokumentar- und Werbefilmen, Musikvideos sowie Fotoshootings in Tirol. Heuer feiert die Institution ihr 20jähriges Bestehen und hat zuletzt auf der Berlinale die Werbetrommel für den Filmstandort Tirol gerührt.

Sie leiten nun seit über 20 Jahren Cine Tirol, was war während dieser Tätigkeit Ihr prägendstes oder schönstes Erlebnis?
Johannes Köck: Es fällt mir sehr leicht, mich an viele sehr schöne und prägende Erlebnisse während der so schnell vergangenen 20 Jahre von Cine Tirol zu erinnern; aber es fällt mit sehr schwer, ein Erlebnis herauszuheben – unter den vielen wunderbaren Erlebnissen finden sich der erste Film, der schon kurz nach der Gründung von Cine Tirol im Gründungsjahr 1998 in Steinberg am Rofan realisiert werden konnte: HELDEN IN TIROL von Niki List; die erste Reise nach Mumbai, um indische Filmproduzenten auf die beeindruckenden alpinen Drehorte in Tirol aufmerksam zu machen; der Umstand, dass mit SOKO KITZBÜHEL und DER BERGDOKTOR zwei höchst erfolgreiche Fernsehserien ihre filmische Heimat in Tirol gefunden haben; die persönlichen Begegnungen mit vielen Filmschaffenden, darunter Schauspie¬lerInnen wie Tobias Moretti, Julia Gschnitzer, Harald Krassnitzer, Léa Seydoux, Karl Markovics, Felicity Jones, Ed Westwick, Dakota Fanning, Hugh Jackman, Kit Harrington, Katrina Kaif, Salman Khan und vielen mehr, die allesamt sehr freundlich und entgegenkommend sind; der „Ritterschlag“ für das Filmland Tirol durch die Dreharbeiten von JAMES BOND 007 – SPECTRE in Sölden und Obertilliach mit Daniel Craig in der Hauptrolle; die Erstlingsfilme DER ARCHITEKT, VALS, HOME IS HERE und MAYBE, BABY!,  deren überaus herausfordernde Verwirklichung mit so viel Herzblut und Begeisterung durch die Regisseurinnen Ina Weisse, Anita Lackenberger, Tereza Kotyk und Julia Becker geschafft wurde; meine VIP-Einladung zum EURASIA FILM FESTIVAL in Astana/Kasachstan; der Umstand, dass Cine Tirol die erste und noch immer einzige Film Commission weltweit ist, in der das gesamte Team aus „AFCI-Certified Film Commissioners“ besteht; das Musikvideo PERFECT von und mit Ed Shearan „shot on location Hintertux/Zillertal“ , die mit derzeit über 870 Millionen Youtube-Zugriffen bisher erfolgreichste Filmproduktion aller Zeiten „made in Tirol“ darstellt …

Wie kam es zur Gründung von Cine Tirol?
Die Gründung von Cine Tirol ist eine außergewöhnliche Erfolgsge¬schichte, die vor allem von zwei Menschen geschrieben wurde: vom Tiroler Regisseur und Produzenten Erich Hörtnagl sowie vom Geschäftsführer der Tirol Werbung Josef Margreiter. Der Erstgenannte hat die Idee mit großer Beharrlichkeit und unermüdlichem Langmut vorangetrieben, der Zweitgenannte hat die Idee mit großer Spontaneität und unglaublicher Begeisterung aufgenommen – gemeinsam mit politischen Unterstützern, vor allem mit dem damaligen Landeshauptmann Wendelin Weingartner und den Landtagsabgeordneten Helmut Krieghofer und Ernst Schöpf konnte Cine Tirol nach mehrjährigem Anlauf und auf der Basis einer Machbarkeitsstudie von Erich Hörtnagl im Auftrag von Josef Margreiter als „frischer“ Geschäftsführer der Tirol Werbung am 1. April 1998 als erste regionale Film Commission Österreichs gegründet werden. In der entscheidenden Phase konnte auch der damalige Geschäftsführer der Filmstiftung NRW und spätere Direktor der Filmfestspiele Berlinale Dieter Kosslick wichtige und wertvolle Überzeugungsarbeit hier in Tirol leisten. Ich selbst hatte Anfang der 90-er Jahre meine „filmische Erleuchtung“, weil wir damals die TV-Serie DER BERGDOKTOR nach entsprechender Anfrage der deutschen Produktionsfirma ndF nach Wildermieming führen konnten – ich war daher schon „im Film“, als mich Josef Margreiter 1997 bat, den Aufbau und die Entwicklung von Cine Tirol federführend  zu übernehmen. Seit damals leite ich dieses Geschäftsfeld der Tirol Werbung und freu mich gemeinsam mit dem Cine Tirol Team – anfangs mit Sabine Aigner-Frühauf, später mit Thomas Fuchs, Angelika Pagitz und Anna Grießer – über den großen Erfolg der ursprünglichen Idee und der nachfolgenden Maßnahmen, die bis heute über 1000 Filmproduktionen nach Tirol geführt haben.

Welche Leistungen bietet Cine Tirol konkret an?
Unsere konkreten Leistungen finden auf drei Ebenen statt: zunächst bewerben wir das Filmland Tirol in vielfältiger Weise – beispielsweise durch zahlreiche Akquisitions- und Projektbe-sprechungen im Rahmen internationaler Filmfestivals bzw. Fachveran¬staltungen wie in Berlin, Cannes und Venedig, aber auch in Locarno, London, Los Angeles, Mumbai, Goa, Shanghai und Busan. Zusätzlich beliefern wir die Filmschaffenden in nah und fern laufend über unsere Newsletter, Promocards sowie Social Media mit Nachrichten aus dem Filmland Tirol. Auf der nächsten Ebene bieten wir für konkrete Filmprojekte das professionelle Cine Tirol Location Service inklusive Location Scouting an. Wir können aus unserem Location Archiv mit über 700 Drehorten in unterschiedlichen Rubriken sehr schnell zweckdienliche Vorschläge für  geeignete Drehorte machen und bei Bedarf auch Kontakte zu Tiroler Filmschaffenden herstellen. Diesen Service bieten wir für alle Filmproduktionen an – egal ob ein großes Spielfilmprojekt oder ein Abschlussfilm eines jungen Filmschaffenden,  ob eine TV-Serie oder ein Kurzfilm, ein Werbefilm, ein Musikvideo oder ein Foto-Shooting nach alpinen Drehorten sucht. Auf der dritten Ebene können wir ausgewählten Filmproduktionen auf der Grundlage unserer Richtlinien und nach schriftlichem Antrag mit nachfolgender Evaluierung auch einen finanziellen Produktionskostenzuschuss gewähren. Die Akquisition und Realisierung von Filmproduktionen sind aber letztlich Teamarbeit – nur durch das Zutun vieler engagierter und motivierter Menschen kann dies gelingen, wie beispielsweise die Dreharbeiten von JAMES BOND 007 – SPECTRE in Sölden eindrucksvoll beweisen, die durch das Engagement von Jakob Falkner von den Bergbahnen Sölden initiiert wurden. Und hin und wieder spielen auch glückliche Fügungen eine entscheidende Rolle!

Tirol befindet sich als Drehort im internationalen Wettbewerb – was zeichnet Tirol als Filmstandort aus?
Es gibt mehrere Erfolgsfaktoren des überaus bekannten und beliebten Filmlandes Tirol: die Vielfalt alpiner Drehorte; die leichte Erreichbarkeit selbst hochalpiner Locations; die fünf erschlossenen Gletschergebiete und die eindrucksvollen Bergstraßen; die leistungsfähige Infrastruktur wie Hotellerie, Gastronomie, Transport, medizinische Versorgung u.v.m. oft in unmittelbarer Nähe der Drehorte; die Beispiele  interessanter Architektur in historischer und moderner Ausprägung; die erfahrenen Filmschaffenden in Tirol selbst; die überaus filmfreundliche Haltung der Behörden und der heimischen Bevölkerung; die engagierte Zusammenarbeit zwischen Cine Tirol und den Tiroler Gemeinden, Tourismus¬verbänden, Bergbahnen und weiteren Partnern im Land; die spannende Geschichte und die nicht minder spannenden Geschichten unseres Landes sowie die zentrale Lage inmitten Europas.

Cine Tirol versteht sich als Motor für das Filmland Tirol – lässt sich das Engagement bzw. die Bilanz auch in tatsächlichen Zahlen ausdrücken?
Ja, diesen Nachweis gibt es sehr wohl: allein durch die über 1000 Filmproduktionen, die seit Gründung von Cine Tirol vor 20 Jahren ins Land geführt und hier vor und während der Dreharbeiten gemeinsam mit unseren Partnern bestens begleitet und unterstützt werden konnten. Die bewegten und bewegenden Bilder „made in Tirol“ werden von sehr vielen Menschen auf der Kinoleinwand, auf dem Fernsehschirm oder auf Youtube gesehen: allein 2017 waren dies über 1,7 Milliarden Menschen weltweit! Sehr eindrucksvoll ist auch der sogenannte „wirtschaftliche Effekt“ all dieser Filmprojekte, der sich durch produktionsbedingte Ausgaben vor Ort, beispielsweise durch Unterkunft und Verpflegung der Filmteams, aber auch durch Transport, Motivmieten, Gagen für Tiroler Filmschaffende u.v.m., definiert – mittlerweile wurde die stolze Summe von 120 Millionen Euro produktionsbedingter Ausgaben in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Tirol überschritten. Cine Tirol leistet auf diese Weise einen bedeutsamen Beitrag zur filmischen Standortstrategie der Tirol Werbung – nicht nur durch die temporären Betriebsansiedlungen von Filmproduktionen in Tirol und die wirtschaftlichen Effekte der oben angeführten Ausgaben, sondern auch durch die Beschäftigung heimischer Filmschaffender, die dann vor und hinter der Kamera stehen. Und es gibt auch noch die filmtouristischen Effekte, die sich speziell in der Region Wilder Kaiser durch die TV-Serie DER BERGDOKTOR bzw. in Sölden durch den Kinofilm JAMES BOND 007 – SPECTRE nachweislich eingestellt haben; insbesondere die „cinematic installation“ 007 ELEMENTS auf dem Gaislachkogel setzt einen weltweit einzigartigen Standard hinsichtlich der filmtouristischen Verwertung!

Welche prominenten Filme wurden bereits in Tirol realisiert?
Der prominenteste Film der vergangenen Jahre ist sicher JAMES BOND 007 – SPECTRE in Sölden und Obertilliach, aber zahlreiche andere Filmproduktionen fanden im Rahmen von Filmfestivals bzw. beim Kino- und TV-Publikum große Beachtung, beispielsweise DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI, MÄRZ, WIE IM HIMMEL, STREIF – ONE HELL OF A RIDE, SCHWABENKINDER, DER SCHANDFLECK, LAPISLAZULI, DER BERGKRISTALL, SOKO KITZBÜHEL, DER BERGDOKTOR, GLOCKNER – DER SCHWARZE BERG, IM TAL DES SCHWEIGENS, DA WO DIE BERGE SIND, CHALET GIRL, xXx – TRIPLE X, IN 3 TAGEN BIST DU TOT 2, SNOWPIERCER, BRIMSTONE, TATORT – PASSION, BAUM DER ERLÖSUNG, LOHN DER ARBEIT, FREMDER FEIND, 1809 – DIE FREIHEIT DES ADLERS, EDDIE THE EAGLE, YUVVRAAJ, TIGER ZINDA HAI, PERFECT, …

Gäbe es einen Regisseur, den Sie noch gerne für ein Projekt in Tirol gewinnen würden?
Ja, Wes Anderson –  ich mag seine Filme sehr  gerne, weil sie so außergewöhnlich, überraschend und witzig sind! Aber ich würde mich natürlich auch über einen Film sehr freuen, der beispielsweise unter der Regie von Woody Allen in Tirol entsteht. Und dann gibt es viele junge RegisseurInnen im In- und Ausland, deren Begeisterung und Leidenschaft herausragende Filme erwarten lassen – sie sind alle eingeladen, ihre spannenden, berührenden, packenden und unterhaltsamen Produktionen im Filmland Tirol zu realisieren.. Wenn ich mir auch noch SchauspielerInnen wünschen dürfte, fiele meine Wahl sehr schnell auf Juliette Binoche (aber das ist eine sehr persönliche Geschichte!) und Robert Redford, der bereits vor vielen Jahren für DOWNHILL RACER in Kitzbühel vor der Kamera stand.

In welcher Jahreszeit finden die meisten Drehs statt?
Die überwiegende Zahl der Produktionen wird zwischen April und Oktober realisiert, zumal Winterdrehs durch die kurzen Tage, die kalten Temperaturen und die eingeschränkte Erreichbarkeit hochalpiner Drehorte besonders aufwändig bzw. herausfordernd sind – aber wir konnten selbst im Hochwinter schon zahlreiche Filmproduktionen nach Tirol führen, beispielsweise James Bond 007 – SPECTRE, THE CHALET GIRL, DER ARCHITEKT, FREMDER FEIND, IN 3 TAGEN BIST DU TOT  und EXTREME OPS, aber auch Winterspecials für die TV-Serien  DER BERGDOKTOR und DIE BERGRETTER sowie zahlreiche Commercials und Musikvideos, weil das Filmland Tirol auch zu dieser Jahreszeit die perfekten Rahmenbe¬dingungen bietet. Die vier markanten Jahreszeiten in Tirol sind für Filmproduktionen sehr interessant – und die fünf erschlossenen Gletschergebiete unseres Landes erlauben zudem Dreharbeiten in Schnee und Eis selbst außerhalb des Winters und schaffen so eine „fünfte Jahreszeit“.

Was hat sich seit der Gründung von Cine Tirol im Jahr 1998 am meisten verändert?
Der Wettbewerb der (alpinen) Filmländer und –regionen hat unglaublich stark zugenommen; teilweise auch durch die Pionierleistung von Cine Tirol inspiriert, wurden im Laufe der Jahre in mehreren österreichischen Bundesländern, aber auch im näheren und ferneren Ausland Film Commissions gegründet, die ebenfalls um Filmproduktionen werben. Eine weitere Veränderung ist, dass immer häufiger nicht nur die Drehorte allein, sondern auch die finanziellen Anreize der jeweiligen Länder und Regionen über die Letztentscheidung der Filmproduzenten entscheiden – und in diesem Bereich haben einige unserer Mitbewerber die Nase vorne. Aber wir lassen uns davon nicht allzu sehr beeindrucken – im Gegenteil: wir „fischen“ mit noch mehr Engagement und Motivation im großen „Ozean der Filme“ nach neuen, großen und kleinen Filmprojekten, die dann in Tirol realisiert werden können. Vor allem unser nach 20 Jahren wirklich großes und vor allem sehr persönliches Netzwerk innerhalb der internationalen Filmbranche, die rat- und tatkräftige Unterstützung der Tiroler Partner wie Behörden, Gemeinden, Tourismusverbände und Bergbahnen, die überaus filmfreundliche Haltung der Tiroler Bevölkerung sowie die sehr positive Mund-zu-Mund-Werbung der Filmschaffenden auf der Grundlage ihrer Erfahrungen im Filmland Tirol stimmen uns sehr zuversichtlich, dass diese filmische Erfolgsgeschichte auch in den kommenden Jahren ihre Fortsetzung finden wird. Ich möchte meine Energie in der Zukunft zudem auf das Suchen und Finden von Filmstoffen konzentrieren, die einen sehr hohen inhaltlichen Tirol-Bezug aufweisen und dadurch außer-gewöhnliche Filme entstehen lassen – denn noch immer gilt: die spannendsten, berührendsten, packendsten und unterhaltsamsten Geschichten erzählt das wahre Leben!

Was ist Ihr persönlicher Lieblingsfilm „made in Tirol“ der vergangenen 20 Jahre?
Über diese Frage hab ich lange nachgedacht und mich selbst gefragt: sind es die großen Filme, die Erstlingsfilme, die „langlaufenden“ TV-Serien, die ausgezeichneten Filme, die Actionfilme oder Thriller, die Bollywood-Produktionen, die romantischen Filme, die Dokumentarfilme, die teilweise sehr aufwändigen Werbefilme großer Marken speziell der Auto-, Mode- und Sportbranchen oder die äußerst publikumswirksamen Musikvideos? Die ehrliche und wahrhaftige Antwort ist: ich mag bzw. liebe sie alle wie man all seine Kinder liebt, die auch ganz unterschiedlich sein können, aber gemeinsam in ihrer Vielfalt und Buntheit die „Familie“ darstellen. So stellen die über 1000 Filmproduktionen „made in Tirol“ der vergangenen 20 Jahre das Filmland Tirol dar – und dafür bin ich unendlich dankbar und auch ein wenig stolz, weil diese Filme Spuren hinterlassen, die weder Wind noch Schnee noch Zeit löschen können.