Der meistgesuchte Film der Welt


Das British Film Institute (BFI) hat den Stummfilm 'The Mountain Eagle' zum meistgesuchte Film der Welt ernannt - die Dreharbeiten für diese Regiearbeit des Meisterregisseurs Alfred Hitchcock wurden im Tiroler Ötztal realisiert.

Alfred Joseph Hitchcock ist weltweit bekannt und gilt weithin als einer der größten Filmregisseure aller Zeiten, wie beispielsweise seine höchst erfolgreichen Produktionen „Psycho“, „Vertigo“ oder „Die Vögel“ zeigen. Aber nur die kundigsten Cineast:innen erinnern sich an eine kleine, jedoch ganz besondere Episode im Leben des großen Meisters der Hochspannung und des Nervenkitzels. Im Herbst des Jahres 1925 kam er nach Tirol, um dort die Außenaufnahmen für seinen zweiten Film „The Mountain Eagle“ zu drehen. Leider gilt der Film seit Jahrzehnten als verschollen.

Die Legende besagt, es sei einer kleinen Postkarte zu verdanken, dass Hitchcock im Jahr 1925 das Tiroler Ötztal als Schauplatz für seine Dreharbeiten auswählte. Da in England zu wenig Geld für Filmproduktionen vorhanden war, wurde er für zwei deutsch-britische Koproduktionen engagiert. In den Emelka-Studios in München-Geiselgasteig sollte Hitchcock seinen zweiten Film „Fear O’God“, dessen Titel zu einem späteren Zeitpunkt in „The Mountain Eagle“ geändert wurde, inszenieren. Während der Vorbereitungen in München stolperte Hitchcock über besagte Postkarte in der Auslage eines Geschäfts, an dem er vorbei ging, welche ein von steilem Gebirge umgebenes, sehr entlegenes Bergdorf zeigte. Ein Bild, das genau seinen Vorstellungen der Inszenierung des Films entsprach. Das Dorf musste nämlich fern jeglicher Zivilisation sein, denn damit wollte Hitchcock die Einsamkeit der ansässigen Bevölkerung symbolisch darstellen. Auch die steilen Ötztaler Alpen standen als Gleichnis für die tiefen menschlichen Abgründe der Protagonist:innen. Wie seine späteren Klassiker aufweisen, wurde es zu Hitchcocks Markenzeichen, psychische Beeinträchtigungen auf der großen Leinwand analytisch zu inszenieren. Erste Züge davon zeigten sich somit auch schon in „The Mountain Eagle“.

Auf die Frage Hitchcocks, wo denn dieses Dorf auf der Postkarte läge, kam jäh die Antwort des Ladenbesitzers: Obergurgl in Tirol. Daraufhin machte sich Hitchcock mit seinem deutschen Assistenten unmittelbar auf den Weg: Sie reisten mit dem Zug von München nach Innsbruck und stiegen im Anschluss in einen offenen Wagen, der die beiden in über mehr als sieben Stunden ins Ötztal brachte. Von dort wanderten sie noch einmal zweieinhalb Stunden zu Fuß nach Obergurgl. Hitch(cock)-Hiking wie aus dem Bilderbuch!

Die beiden waren sich schon einig, dass unter diesen Transportbedingungen kein Filmteam anreisen und arbeiten konnte. Doch als sie endlich Obergurgl erreicht hatten, war Hitchcock vollkommen fasziniert und hingerissen, denn er hatte gefunden, wonach er suchte. Ein kleines, idyllisch gelegenes Dorf mit schneebedeckten Bergen und grünen Wäldern fernab jeglicher moderner Zivilisation – das perfektes Sinnbild für seine geplante Inszenierung.

Beinahe 100 Jahre ist es nun her, seit Alfred Hitchcock im Herbst des Jahres 1925 mit den genannten Personen die Dreharbeiten für „The Mountain Eagle“ im Ötztal begann. Später beschrieb er in einem Interview die zahlreichen Probleme, die dabei leider aufeinandertrafen. Denn schon im Herbst zeigte sich Tirol von einem Tag auf den anderen im winterlichen Kleid und der plötzlich auftretende, starke Schneefall bedeckte die perfekte grüne Kulisse Hitchcocks. Der jahreszeitlich sehr früh einsetzende und somit höchst unerwartete Niederschlag legte die gesamten Dreharbeiten lahm und zwang die Filmcrew zu Tatenlosigkeit. Zum Glück hatte Hitchcock extra einen prall gefüllten Sack Zitronen den weiten Weg ins Ötztal mitgebracht, und so musste er wenigstens nicht auf seine geliebte Limonade verzichten, die ihm – laut der Legende – von seiner verehrten Alma auf den Tisch gezaubert wurde. Nach vier Tagen Stillstand entstand eines der bekanntesten Zitate von Sir Alfred Hitchcock: „Nach Tagen der Untätigkeit beschlossen wir, Tauwetter zu produzieren. Ich überzeugte eine Handvoll Männer, mit der Handpumpe der Freiwilligen Feuerwehr den Schnee wegzuwaschen. Sie befreiten ein Dach nach dem anderen vom Schnee. Doch eines der Hausdächer gab unter den Wassermassen nach, und die Bewohnerin beschwerte sich zu Recht über ihr geflutetes Heim. Der Bürgermeister meinte, dass ein Schilling Entschädigung für die Frau angemessen wäre. Sie bekam zwei von mir. Gemessen an ihrer Freude, hätte ich für zehn Schilling wohl das ganze Dorf unter Wasser setzen dürfen.“ Nun endlich konnte Hitchcock die geplanten Szenen realisieren.

Nach den ersten Vorführungen im Jahr 1926 in Großbritannien, Deutschland und den USA verschwand der Film jedoch rasch aus den Kinos. Während von allen anderen Hitchcock-Filmen noch Kopien vorhanden sind, ist „The Mountain Eagle“ bis heute verschollen und wird seit vielen Jahren intensiv gesucht – beispielsweise durch das British Film Institute (BFI). Auch Cine Tirol bemüht sich seit vielen Jahren Spuren dieser Produktion zu entdecken.

Zu Beginn der Recherchen hörte man im Ötztal das Gerücht, Hitchcock sei zwar hier gewesen, habe aber nicht wirklich gedreht. Ein Anfall von Übelkeit und Schwindel habe ihn veranlasst, vorzeitig wieder abzureisen. Wie die meisten Gerüchte enthält auch diese Geschichte einen wahren Kern. Tatsächlich erlitt Hitchcock während einer Drehpause einen länger andauernden Anfall von Brechreiz. Doch hinderte ihn das nicht daran, die Filmaufnahmen im Ötztal fertigzustellen. Später interpretierte Alfred Hitchcock diesen Anfall als Reaktion auf die Tiroler Kehllaute. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder von englischsprechenden Menschen umgeben zu sein, obwohl er selbst gut Deutsch sprach. Trotz seines Status als „verlorener Film“ bleibt „The Mountain Eagle“ ein wichtiger Teil von Hitchcocks Filmografie und ist ein Beweis für sein überragendes Talent als Filmemacher schon in jungen Jahren.

Lange existierten nur wenige Fotografien von den Dreharbeiten zu diesem Film. Diese sind im Besitz der Nachfahren des damaligen italienischen Kameramanns Baron Giovanni Ventimiglia. Nach weiteren Recherchen tauchten im Jahr 1998 erstmals Standbilder vom Film auf, dabei wurden auch Fotos von den Dreharbeiten im Ötztal gefunden. Ob jemals noch eine Kopie auftauchen wird, ist ungewiss. „The Mountain Eagle“ bleibt somit nach wie vor der weltweit meistgesuchte Film, der durch glückliche Fügung vor vielen Jahren in Tirol entstand.